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Die dunkle Seite der Macht – Seelenstrip und Learnings

 

Fenster zur Dunkelheit

Heute wird das wohl ein recht ernster Beitrag, von dem ich mir gründlich überlegt habe, ob ich ihn überhaupt posten soll. Der ein oder andere von euch hat vielleicht bemerkt, dass ich die Selbstliebe-Reihe kurz unterbrochen habe. Ich schreib sie natürlich weiter, brauchte aber eine „Pause“, die eigentlich keine war. Falls ihr mir auf Instagram folgt, ist euch eventuell aufgefallen, dass ich öfter mal erwähnt habe, dass ich in letzter Zeit mit diversen Herausforderungen kämpfe. Die haben für eine Menge Chaos in meinem Kopf und meinem Herzen gesorgt. Ich glaube ich hatte in meinem „Über mich“-Beitrag schon erwähnt, dass ich auch dunklere Zeiten hinter mir habe. An dieser Stelle ist es etwas schwierig für mich, weiterzuschreiben, denn ich bin nicht sicher, wer von euch da draußen das nachvollziehen kann (und wie, wenn nicht, das Urteil ausfällt). Oft, wenn von Depressionen gesprochen wird, sagen die Leute solche Dinge wie „Jeder ist mal depressiv.“ oder sowas. Trotzdem habe ich nicht den Eindruck, als käme irgendwer mit Depressiven klar (was ja auch verständlich ist, ist ja nicht einfach). Da ich gerade in einer – wenn auch schwankenden – Depressionsepisode stecke, die sich stellenweise so richtig gewaschen hat, sehe ich mich mit grundlegenden Fragen konfrontiert:

  • Wie kann ich über Selbstliebe schreiben, wenn ich doch solch heftige Abgründe mit Selbstzerstörungselementen habe?
  • Wie soll ich Menschen weiter coachen, wenn ich manchmal so gar nicht zurechtkomme?
  • Hört das jemals wieder auf? Und wenn ja, wie?
  • Wie soll ich mit so viel Schamgefühl jemals wieder selbstbewusst sein?

Mit diesen Gedanken bin ich aber, wie mir langsam klar wird, nicht allein! Ich glaube, ich bin inzwischen an einem Punkt, an dem dieser Beitrag am Ende Menschen, die direkt oder indirekt betroffen sind, Hoffnung geben kann. Es würde mich zumindest extrem freuen, denn es fühlt sich an wie eine Lebensbeichte und es steckt viel Herzblut drin.

Warum bin ich manchmal wunderlich und exzentrisch? – Die Schattenseiten

An dieser Stelle möchte ich ganz bewusst nur von mir selbst sprechen, da ich mir keine Diagnosen etc. anmaßen kann, darf und möchte. Vor 15 Jahren habe ich mich regelmäßig geritzt. (Bääm, jetzt ist es raus.) Meine Essstörung hatte quasi ihre Blütezeit und mein Gewicht daher Spitzenwerte. Spitze fühlte ich mich allerdings nicht. Ich lebte nicht, ich existierte und hoffte, dass es irgendwann aufhörte. Das hielt jahrelang an. Das Problem ist: Irgendein Teil von mir hat in dieser Zeit tief die Idee verankert, dass mein gestörtes Essverhalten und das Ritzen mir „Erleichterung“ erschaffen. Das ist natürlich nicht nur lediglich temporär so, sondern auch eine Illusion, die eigentlich alles verschlimmert. Damit, finde ich, hat all das einen ziemlichen Suchtcharakter.

Das was man so „Depression“ nennt, ist außerdem sicherlich äußerst vielfältig, medizinisch aber sehr konkret diagnostiziert. Daher möchte ich heute für mich ein anderes Wort dafür finden. Wer J.K. Rowlings Harry Potter kennt, kennt sicherlich noch die Dementoren. Diese schrecklichen Wesen, in deren Gegenwart alle Freude, Wärme, alles Glück einem entschwindet, man die anderen Menschen im Raum nur noch schemenhaft wahrnimmt und sich irgendwann die völlige Ohnmacht einstellt. Zumindest ist das bei Harry so, weil er mit dem frühen Verlust seiner Eltern so Entsetzliches erlebt hat. Ich glaube, in einem gewissen Maß haben wir alle diesen „Triggerpunkt“, diese Erlebnisse und alten Gefühle, die durch irgendetwas wieder an die Oberfläche geholt werden und mit aller Gewalt in uns wüten können.

So sind die Depressionsphasen für mich. Als hätte ich einen Mini-Dementor im Kopf, der permanent meine Aufmerksamkeit und Energie fordert und mir eine innere und äußere Ohnmacht aufzwingen möchte. Der dafür sorgt, dass ich die Welt um mich herum nur noch wie eine dicke Scheibe aus Eis wahrnehmen kann. Ich muss trotzdem funktioneren, aber alles erfordert unendlich viel mehr Kraft und ich werde immer schwächer. In Harry Potter heißt es, er müsse „Expecto Patronum“ üben, einen Schutzzauber, der nur funktioniert, wenn er sich an die glücklichste Erinnerung seines Lebens so lebhaft wie möglich erinnert. Er braucht mehrere Anläufe, um diesen Zauber richtig zu beherrschen. Zum einen, weil er sich seine glücklichen Erinnerungen erst erschaffen und aufbauen muss, indem er sein Leben gestaltet. Zum anderen, weil Übung nun mal den Meister macht und Anstrengung erfordert. Weil Anstrengung in dieser Situation einfach zu viel verlangt ist, endet das mit mehr als einer Ohnmacht.

Genauso ist es im Leben. Mit einem Mini-Dementor im Kopf befinde ich mich in einem permanenten Kampf. Ich muss 24/7 versuchen, an meinen glücklichsten Momenten festzuhalten, mich mit möglichst vielen Sinnen daran festzuklammern und parallel meine Schutzzauber zu sprechen. Gleichzeitig darf ich dabei keine Fehler machen, sonst gerät mein Alltagsrhytmus aus den Fugen (damit gewinnt der Dementor quasi Energiepunkte – und ich verliere welche. Eine rasante Abwärtsspirale!). Inzwischen bin ich sehr geübt in diesen Dingen, deshalb sind meine „Dementor-Phasen“ nicht mehr so lang und vor allem falle ich nicht mehr so tief. Dennoch ist in diesen Phasen vieles um mich herum schleierhaft. Trotzdem schaffe ich es, meinen Alltag funktionierend zu halten und die Augenblicke mit meinen liebsten Menschen ehrlich (nicht nur zum Schein) zu genießen. Das liegt aber nur daran, dass ich mir inzwischen erlaube, völlig authentisch zu sein. Das heißt, dass ich manchmal einfach nicht spreche. Viele konnten das nicht verstehen. Mit der obigen Beschreibung ist das vielleicht leichter: Die Energie reicht einfach nicht mehr aus. Oder / und man kommt nicht durch das „Eis“. Es geht nichts mehr. Im Stall ist das bei mir wohl am deutlichsten, weil ich dort in meinem „Kompetenzbereich“ und am glücklichsten bin. Ich atme dort temporär auf, bin dort auch nett und mag auch die Gesellschaft derer, die mir begegnen. Wenn dann Ruhe einkehrt oder ich die Gelegenheit zwischendrin habe, sitze ich aber oft bei Tiziano im Paddock und tanke einfach auf. Manchmal frage ich mich, ob Leute dann denken, ich bin faul. Tatsache ist, für mich sind diese Momente quasi lebenswichtig. Ohne sie schaffe ich meine Woche nicht. Es sind die Augenblicke, in denen ich innerlich „Expecto Patronum“ rufe und mich nicht an irgendwas Schönes erinnern muss, sondern es um mich herum habe. Genau dann kann ich den Dementoren in seine Schranken weisen und dem Leben in mir wieder Raum erschaffen. Wer mich im Stall (oder „draußen“ im Leben) während einer „Dementoren-Phase“ kennen lernt, dem kann es deshalb passieren, dass ich 

  • plötzlich einfach schweigsam werde, obwohl ich sonst enorm redselig bin
  • mich grade eben noch prima unterhalten habe, sobald ich daheim bin aber für einige Tage keine SMS beantworte
  • Tage habe, an denen ich nicht in der Öffentlichkeit esse (das ist, wenn ich gegen die Essstörung kämpfe und mich für’s Essen schäme)
  • mich von Menschenansammlungen fern halte, zu zweit aber ein super Gesprächspartner bin oder gar aufblühe (viele Menschen erfordern zu viel Energie – man muss sich auf so viele Dinge gleichzeitig einstellen)
  • einfach mal für eine Weile verschwinde, weil ich eine (Meditations-)Pause brauche und menschenfrei Luft holen muss.

All das ist nicht böse oder persönlich gemeint. Es heißt nur, ich brauche meine Energie und Aufmerksamkeit gerade gegen Dementoren. Viele Menschen empfinden das wohl als verwirrend oder denken dann, entweder die Depression oder die Freude seien gespielt. So ist das aber nicht. Ich habe nur einfach gelernt, mir kurzfristig ein Fensterchen ins Eis zu zimmern. Während ich die Gesellschaft von Liebsten also noch genießen kann (Glücksmomente kreieren, an denen ich festhalten kann!), muss ich dann zuhause oft komplett abschalten, um das wichtigste am Laufen zu halten. Wenn ich diesen Kampf verliere, rutsche ich in eine Ohnmacht (das ist dann vermutlich das Burnout), in der dann für einige Wochen *nichts* mehr geht. Das habe ich gelernt zu verhindern.

 

Learnings

Damit beantworten sich die obigen Fragen, denn darauf bin ich extrem stolz. Als ich alternative Heilmethoden entdeckte, dachte ich, ich werde jetzt von alldem geheilt.

Keine Essstörung mehr. Kein Ritzen mehr. Keine Depressionen mehr. Der Wahnsinn wäre das!

So einfach war das nicht. Wie ihr gerade gelesen habt, habe ich es nicht geschafft, diese Dinge zu „töten“. Vielmehr habe ich ihnen einen Raum gegeben. Der Dementor sitzt in meinem Kopf, da kann ich ihn schlecht erschießen. Aber ich kann ihn hungern lassen, ihm Energie wegnehmen, indem ich meine Glücksmomente stärke. Ich muss mich nicht durch Ritzen spüren, weil ich meine Grenzen gesünder ausreizen kann und emotionale Wunden bewusster spüren, aushalten und ausheilen lassen kann. Meine Essstörung bekommt manchmal den Raum, den sie braucht, dann pendelt es sich wieder ein. Die bekämpfe ich nicht. Ich erkenne sie an und dadurch „beruhigt sie sich“ meistens von allein. Nichts davon ist also „weg“. Ich habe gelernt, damit zu leben. Manchmal ist das sehr, sehr anstrengend. Aber tatsächlich ist es, wie man sagt: Was mich nicht umbringt, macht mich nur stärker. In den letzten Tagen war ich wegen des katastrophalen Timings dieser Dementoren-Phase (immerhin habe ich am Ende des Monats Abschlussprüfung!) in einen so negativen Gefühlscocktail gerutscht, dass ich das Burnout schon hab kommen sehen. Bis mir heute früh klar wurde, dass das totaler Blödsinn ist. Ich habe gelernt, so unheimlich gut zu kämpfen, zu balancieren, wieder aufzustehen (und ich musste wirklich einige richtig extreme Rückschläge einstecken in letzter Zeit), dass mein Mantra hätte sein sollen: „Es ist, was es ist.“

Dann hätte ich bemerkt, dass 

  • ich mir Schwäche einfach gerade zugestehen darf.
  • es mir gerade auch mal schlecht gehen darf und ich trotzdem funktionieren kann
  • mein Umfeld mich so akzeptiert wie ich bin (und wenn nicht, bye bye!) und ich das auch darf!
  • ich gar nicht wirklich schwächer und schlechter bin als Andere, sondern viele Dinge trotz allem meistere!! Das muss man erst mal schaffen (und dann immer wieder)!

Es ist jetzt also klar (vor allem auch mir), dass meine Beiträge, insbesondere die Selbstliebe-Reihe, gar nicht meinem Lebensstil widersprechen, sondern ihn ergänzen, spiegeln und vor allem bereichern. Die Strategien, die ich teile, haben mich so unendlich weit gebracht, auch wenn ich das dementorenbedingt manchmal kurz aus den Augen verliere. Die Entscheidung, auch die dunklen Seiten zu schildern, fiel mir wirklich schwer, aber ich glaube, diese Offenheit muss sein und ist letzten Endes produktiv. Hoffentlich nicht nur für mich, sondern auch für euch. Auch wenn natürlich jeder von uns anders tickt, glaube ich, dass man lernen kann, mit solchen Energieräubern zu leben – und zwar mit erheblich mehr Lebensqualität, als man für möglich gehalten hätte. Ich für meinen Teil kann sagen, dass ich eine große Lebensfreude wiedergefunden (oder wieder aufgebaut) habe und das Leben auch nach den dunklen Phasen immer wieder liebe. Diese positive Tendenz besteht jetzt über Jahre – und dafür lohnt es sich.

Wie geht es euch mit diesem Beitrag? Und mit der Thematik? Habt ihr eventuell schon Ähnliches durchgemacht? Schreibt’s mir in die Kommentare, ich bin gespannt!

PS: Ich hab das in vorigen Artikeln schon mehrfach betont, halte es hier aber nochmal für wichtig und angebracht: Nichts und niemand (schon gar nicht ich) ersetzt einen Arzt / Therapeuten! Wenn du das Gefühl hast, eine Depression, Essstörung oder sonstige Krankheit zu haben, such dir bitte, bitte Hilfe. Ich hätte all das nie ohne Therapie geschafft. Es ist nichts Peinliches daran und vor allem kommt der Punkt, an dem man sich auf die wöchentliche Erleichterung eher freut, wenn man sich mit seinem Therapeuten mal „eingegrooved“ hat. Das ist mir wirklich wichtig. Natürlich muss die Chemie stimmen (ein Therapeut, den man nicht leiden kann, wird wenig Erfolg mit einem haben), aber die Suche lohnt sich absolut. Es gibt nichts Befreienderes und Hilfreicheres als einen Menschen, dem man nicht erst übersetzen muss, was man in solchen Momenten empfindet!! Der einen annimmt, ohne zu urteilen, und einem Strategien an die Hand gibt, mit den Tiefs umzugehen (und sie zu verringern / verkürzen etc.). Diese Dinge sind lange kein Tabuthema mehr und in Kreisen, in denen das doch noch so ist, haben wir meiner Meinung nach die Verantwortung, diese Tabus zu brechen, denn es sind immer mehr Menschen betroffen.

 

Von Herzen

Eure Jessie

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