Hacks,  relax

Ich kann nicht entspannen.

„Entspannung ist nichts für mich.“
„Ich bin zu hibbelig für Entspannung.“
„Entspannung funktioniert bei mir nicht.“
„Ich kann nicht lange genug still sitzen, um mich zu entspannen.“
„Das ist alles Hokuspokus.“

Aus Deiner Perspektive kann ich diese Sätze voll verstehen (nicht zuletzt, weil ich diese Phasen von mir selbst kenne). Wenn wir so etwas von uns geben, ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir von Stresshormonen überflutet sind – und uns diesen Zustand als Normalzustand einkonditioniert haben – ziemlich hoch. Für mich wiederum klingt das nach Jahren des Entspannungstrainings, als würde jemand zu mir sagen: „Ich kann jetzt nicht essen, denn ich habe Hunger!!“. Die intuitive Antwort darauf wäre: „Hä??“

Also. Dröseln wir das mal ein wenig auf. Grundsätzlich verfügt jeder gesunde Mensch über die Fähigkeit, zu entspannen. Das ist überlebenswichtig, denn wir können ja nicht den ganzen Tag vor einem Tiger weglaufen. Der moderne Mensch hat aber einen Stresslevel, der letzteres durchaus vermuten lässt. Es ist eine viel zitierte Annahme, dass wir in einer Stressgesellschaft leben, die Entspannung als Zeitverschwendung betrachtet und auch irgendwie als „faul“ stigmatisiert. Gleichzeitig platzen die Arztpraxen von neuerdings depressiven, ausgebrannten Menschen.

Kann man dem nur mit Entspannungstechniken vorbeugen?

Natürlich nicht. Zum einen gibt es ja verschiedene Ursachen, zum anderen können wir doch – theoretisch – ganz natürlich entspannen. Durch einen Ausgleich zwischen Ruhe und Bewegung beispielsweise. Den haben die meisten nur nicht mehr. („Ich habe keine Zeit für Sport.“ – oder für die Ruhe danach). Für uns ist der Gedanke, jetzt auch noch Entspannungstraining im Alltag unterzubringen, erstmal Stress pur. Noch ein Zeitfresser. Noch ein Stressfaktor. In dieser Stunde könnte man so viel Produktives, Sinnvolles (!) tun. Dabei ist Entspannung sehr sinn-voll. Deine Sinne dürfen mal aus dem Kopf ins Gefühl gehen. Dein Kopf hat Platz. Dein Körper kann Stress abbauen.

Was macht denn Entspannung eigentlich mit mir?

  • Entspannung bedeutet Aufbau. Jeder Bodybuilder weiß, die Muskeln wachsen nicht beim Training, sondern in der Ruhephase danach. Reiz – Reaktion. Nur geben wir der Reaktion keinen Platz mehr und setzen uns ständig neuen Reizen aus. Dabei sind wir – wie so ziemlich alles! – zyklisch angelegt.
    Tag – Nacht
    Sommer – Winter
    Wach – Schlaf
    Produktivität – Konsum
    Ebbe – Flut und eben …
    Spannung – Entspannung.
  • Wenn unser Kopf leer ist, haben wir Raum für Lösungen und Kreativität. Wenn unserer Körper Stress abbauen kann, gehen wir vom Überlebensmodus in den Schaffensmodus über. Wir funktionieren nicht mehr roboterartig, wir balancieren uns aus und können aus dem Zentrum unseres Selbst wieder erschaffen. Ergo: je gestresster Du bist, desto wichtiger ist Entspannung für Deine Produktivität. Im Auge des Sturms ist Ruhe! Oder, ein für mich noch schöneres, spürbareres Bild: Warst Du mal im Meer tauchen? An der Oberfläche wirst Du noch von den Wellen herumgeschüttelt, je tiefer Du tauchst, desto ruhiger ist es.
  • Nur, wenn wir entspannt genug sind, haben wir Zugang zu unserem „Bauchgefühl“. Jetzt scheiden sich die Geister, wenn es um das Verhältnis zwischen Bewusstsein und Unterbewusstsein geht. Sind es nun 5 % : 95 %? Oder gar 20 % : 80 %? Völlig egal, denn einig sind alle in der Erkenntnis, dass unser Bewusstsein nur die Spitze des Eisbergs „Mensch“ ist. Wir sind so viel mehr als unsere Ideen, und aus diesem „Mehr-Meer“ heraus treffen wir Entscheidungen. Und zwar unsere besten. Wenn wir den Zugang dazu allerdings permanent durch Stress(hormone) blockieren, können wir das eben nicht mehr und fangen an, unvorteilhafte Entscheidungen zu treffen. Da hätten sich die 10 Minuten Entspannung dann doch rentiert. Eine gute Investition.
  • Wir brauchen Entspannung, um gesund zu sein. Nicht umsonst erstatten immer mehr Krankenkassen mittlerweile die Kosten für Entspannungskurse. Die Folgen von dauerhaftem Stress sind inzwischen weitreichend bekannt. Dauerhafter negativer Stress macht krank. Er zieht uns in den Stimmungs – und den Leistungskeller. Dem sollten wir vorbeugen. Wenn wir das nicht tun, hilft vielleicht irgendwann nur noch der Arzt oder (/und) der Therapeut.
  • Last but not least: Entspannung ist einfach ein schönes Gefühl.

Warum funktioniert es bei so vielen Leuten nicht?

Tatsächlich werde ich damit öfter konfrontiert. „Ich kenne jemanden, der war bei so einem Training, fand es aber total unangenehm und stressig.“
Dazu kurz eine Anekdote. Während meiner Entspannungstrainerausbildung habe ich Autogenes Training gehasst. Ich fühlte mich während der Gruppenübungen dabei genervt, unter Druck und unheimlich aggressiv und das einzige, was ich mir wünschte, war, aufzuspringen und laut brüllend raus zu rennen. Ich hab es daraufhin jahrelang, wenn möglich, vermieden, AT mit meinen Kunden zu machen, es sei denn, sie waren davon begeistert. Ich hatte allerdings so viel drüber gelernt, dass ich wusste, dass es eigentlich eine tolle Technik ist. Als Konsequenz dessen habe ich nochmal einen 8-wöchigen AT-Kurs gemacht, um dem ganzen eine Chance zu geben. Ich hätte es nie (nie, nie, nie!!) gedacht, aber heute bin ich ein großer Freund davon und arbeite sogar für mich selbst weiterhin damit. Nicht zuletzt, weil ich durch AT die Möglichkeit der Zeitersparnis durch Entspannungstraining noch einmal deutlich zu spüren bekam. Aber dazu gleich mehr.

Erst möchte ich aufklären, weshalb so viele Menschen scheinbar negative Erfahrungen mit den Trainingsstunden machen. Im näheren Gespräch ließ sich je nach Technik bisher immer einer der folgenden Haken finden:

  • Der Trainer war unerfahren oder unzureichend kompetent und klärte deshalb mangelhaft auf. Oft werden beispielsweise initiale Körperreaktionen als störend empfunden, obwohl sie eigentlich Anzeichen der sich einstellenden Entspannung sind. An diesem Punkt konzentriert sich der unerfahrende Übende oft auf das störende Gefühl, was natürlich alles Andere als entspannend ist. Mit vorheriger Aufklärung wäre das nicht passiert. Die Körperreaktion legt sich dann von selbst und die Entspannung stellt sich ein.
  • Die Einstellung des Übenden beruhte eher auf Zwang („Probier das doch mal, irgendwas musst Du ja machen!“) als auf Neugier oder Lust aufs „Abschalten“. Auch hier kann ein aufklärendes, faktisch fundiertes Vorgespräch Wunder wirken. Wer die Techniken für Hokuspokus hält, dem er sich da aussetzen „muss“, wird sich öffnen, sobald er die Funktionsweisen auf biologischer Ebene nachvollziehen kann.
  • Der Rahmen war unpassend für den Übenden. Gruppenkurse sind eine tolle Sache, aber vielleicht nicht für jeden von Anfang an die richtige Lösung. Wer völlig überdreht ist, fühlt sich in einer Gruppe ruhiger Menschen eventuell noch mehr unter Druck. Dann hilft die ein oder andere Einzelsitzung zuvor. Wer sich umgekehrt allein eher beobachtet fühlt, aber sehr sensibel für die Atmosphäre in Gruppen ist, lässt sich eventuell von der Ruhe der anderen Übenden anstecken.
  • Der Trainer wusste nicht, mit den Reaktionen oder Ergebnissen des Übenden umzugehen. Das lässt sich im Gespräch oft schnell aufklären. Es ist nun einmal so, dass wir von einem Themengebiet sprechen, für das es Online-Kurzseminare gibt, auf denen Menschen ihren Beruf gründen können. Ich behaupte nicht, dass jeder für alles ein genormtes Zertifikat braucht. Tatsächlich ist es aber in dieser Sparte sowohl für angehende Trainer als auch für Trainersuchende sehr schwierig, das schwarze Schaf vom Experten zu unterscheiden. Generell ist die Devise: Wenn Du Dich nicht gut beraten oder gar unwohl im Umgang mit Deinem Trainer fühlst, trag Dein Geld lieber zu einem anderen… immerhin investierst Du es in Dein Wohlbefinden.

Warum eigentlich „Training“ – ich dachte, es soll entspannen?

Lieber Leser, ich präsentiere Dir den großen, großen Knackpunkt! Er hört auf den Namen Konditionierung und ist Dein riesiger Verbündeter im Umgang mit Entspannung. Kurz gesagt: Dein Körper merkt sich Dinge (und Dein Geist ja auch). Lass mich anschaulich werden.

Deine Frau oder Dein Mann erzählt Dir von jemandem, den sie / er sehr attraktiv findet. Du siehst das entspannt und machst Dir nicht viel daraus. Kann schon mal vorkommen. Jetzt kommt Dein/e PartnerIn beinahe täglich nach Hause und erzählt ausschweifend von dieser Person. Wie entwickelt sich Dein Verhältnis zu deren Namen? Geht Dir nicht irgendwann beinah das Messer im Sack auf, wenn Du den Namen nur hörst? Du hast gelernt, diesen Namen mit Ängsten, Sorgen, Wut in Verbindung zu bringen und nun suchst Du beinahe schon die negativen Aspekte der Berichte Deines Gegenübers. Du bist inzwischen darauf konditioniert.

Vielleicht kennst Du das Prinzip auch aus dem Hundetraining. Mit zunehmendem Leckerchen-nach-guter-Ausführung wird die Umsetzung Deines Kommandos schneller und präziser und Du brauchst nicht mehr jedes Mal ein Leckerchen. Der Hund kennt das Prinzip und reagiert, ohne nachzudenken. An dieser Stelle muss eigentlich zwangsweise auch Iwan Pawlow erwähnt werden, an dessen Experiment die Konditionierung des Körpers deutlich wird: Er läutete immer zur Fütterung seiner Hunde eine Glocke. Nach einiger Zeit sonderten sie bei Läuten der Glocke – auch ohne Futter – Speichel ab.

Genau so funktioniert das mit der Entspannung. Während sie am Anfang noch etwas anstrengend sein kann, weil uns stressige Gedanken und ToDo-Listen dazwischenfunken, lernt unser Körper-Geist-System die Signale, die ihm die Erlaubnis zum Relaxen geben.
Wenn diese Konditionierung mal vorgenommen ist, ist die Zeitspanne zwischen Stress und Entspannungszustand erheblich kürzer als zu Beginn des Trainings. Dazu kommt, dass Du Dich, Deine Bedürfnisse und Deine Vorlieben sehr viel besser kennst und daher Deine Technik darauf abstimmen kannst. Weil Du kürzer und intensiver entspannen kannst, kannst Du es auch öfter tun und Dir so kleine Inseln in den Alltag einbauen, damit Dein Stresslevel gar nicht erst in übermäßige Höhen schießt – oder Du den Stress schnell wieder abbauen kannst. Langfristig wirst Du also einfach eine entspanntere Basis fürs Leben haben, einen besseren Umgang mit Stress und einen Werkzeugkasten, falls er doch mal Überhand nimmt.

Zu guter letzt: Was soll ich eigentlich machen?

Inzwischen gibt es soooo viele Entspannungstechniken, dass ich behaupte, für jeden ist was dabei. Es gibt körperbasiertere Techniken für diejenigen, die wenig Zugang vom Geiste aus haben und etwas Handfesteres angenehm finden. Es geht auch genau umgekehrt: vom Geist zum Körper. Oder einfach beides gleichzeitig. Ich stelle hier mal eine kleine Liste auf, die natürlich nicht vollständig ist. In der nächsten Zeit wird es weitere Beiträge zu den Techniken geben, die ich auch selbst anbiete (die ersten 5 auf der Liste).

  • Autogenes Training
  • Progressive Muskelentspannung nach Jacobson
  • Katathym-imaginatives Bilderleben
  • Atemtechniken
  • Meditation
  • Yoga
  • Qi-Gong
  • Tai-Chi
  • Pilates

Probier Dich aus. Schreib mir gern in die Kommentare, was Deine Erfahrungen sind! Ich bin gespannt!

PS: Auch hier nochmals der Hinweis, dass ich keine medizinischen Ratschläge gebe. Meine Beiträge und Angebote ersetzen keinen Arzt oder Therapeuten. Ich stelle keine Diagnosen und mache keine Heilungsversprechen oder gar Medikamentenvorschläge.

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